Irrlichter (1972)

Erscheinungsjahr: 1972

Österreichische Verlagsanstalt Wien

Bonattis Texte sind erratische Blöcke in der Landschaft der Gegenwartliteratur. Von ihnen geht eine zweifache Faszination aus, wie sie Bestsellern ebenso wie dem hilflosen Stottern modernistischer Nihilisten längst fremd geworden ist. Diese Faszination beruht auf der metaphysischen Besessenheit des Autors wie auf ihrer formal-ästhetischen Geschlossenheit.

Unser so oft zitiertes Zeitalter der Sprachlosigkeit erweist sich bei Bonatti als ein Zeitalter der Sprechlosigkeit, der Unfähigkeit des Menschen zum Dialog, nicht aber seiner Unmöglichkeit zum inneren metaphysisch fundierten Monolog.

Bonattis Sprache bleibt keinen Augenblick länger als nötig an der Oberfläche. Schon nach wenigen prägnanten Sätzen der Einleitung strebt sie der Tiefe zu, bricht Schale um Schale der Bewußtheit auf, entblättert die seelischen Strukturen, schonungslos sezierend. Wer die Kontexte dieser Texte er-faßt und um-greift, weiß mehr vom geistigen Zustand unserer Welt, als ihm Tonnenladungen von Illustrierten und Tatsachenberichten vermitteln können. Es bedarf dazu freilich des meditativen Nachvollzugs dieser Texte und der Akzeptation der erbarmungslosen Querschnitte, die der Autor festlegt.

Bonattis Texte sind zudem in sich geschlossene Klein-Kosmologien, in welchen die grammatikalischen Zusammenhänge zugunsten musikalischer Formprinzipien durchbrochen werden – ähnlich wie die Reihentechnik der Harmonik umfunktioniert. Bei näherem Zusehen erweisen sich die erratischen Blöcke als feinzieselierte, diffizil durchformte Gebilde mit inneinandergeschachtelten Themensplittern, Motivschleifen, kontrapunktischen Zusammenhängen. Hier steht nach strenger Durch-Arbeitung  kein Wort zu viel oder zu wenig, der Leser steht im Nachvollzug eines autonomen Reinigungsprozesses der Sprache und wird ihrer auch für sich selbst teilhaftig.

Je öfter man zu Bonattis Band, der Frucht zehnjähriger Meißelarbeit, greift, umso schwerer und gewichtiger wird er. Inmitten der seichten Literaturflut unserer Tage, die alles überschwemmt, muß ein Buch wie dieses wie ein Stein auf Grund gehen. Doch wenn dereinst die Ebbe zurückrollt, wird es mit wenigen anderen die Öde des verlassenen Strandes vergessen machen.

Helmut Schinagl (†)